#13 "Wenn Worte reisen - Wie Geschichten uns einander näherbringen"
07.04.2025 20 min
Zusammenfassung & Show Notes
In dieser Folge spricht Elsbeth Horbaty über die Kraft des Geschichtenerzählens – vom Frühling in Rotterdam bis hin zu Erinnerungen an Kriege und Flucht.
🗣️ Zu Gast sind:
- Gregor von Papp, Schulleiter und Geschichtenerzähler aus Würzburg – über die Magie des mündlichen Erzählens im Schulalltag.
- Elles Blanken, Sozialwissenschaftlerin in El Salvador – über das Sammeln und Aufschreiben von Lebensgeschichten in ländlichen Regionen nach dem Bürgerkrieg.
🎧 Themen:
- Was gute Geschichten ausmacht
- Wie Erzählungen Nähe, Erinnerung und Verständnis schaffen
- Storytelling als Brücke zwischen Generationen und Kulturen
📍Mit einem besonderen Abschluss: Gesang und Erinnerungen aus dem Weltmuseum Leiden über die Geschichte des Mapuche-Volkes.
In dieser Episode nimmt uns Elsbeth Horbaty mit auf eine Reise durch den Frühling in Rotterdam – mit flatternden Blüten, zwitschernden Vögeln und dem unerwarteten Ruf freilebender Papageien. Was haben diese Vögel mit Migration und Befreiung zu tun? Elsbeth zieht poetische Parallelen zwischen Tierwelt und menschlicher Erfahrung.
🌱 Thema der Episode: Die Kraft des Erzählens
Warum sind Geschichten so bedeutsam – gerade in Zeiten des Wandels, der Trennung oder der Erinnerung? Elspeth spricht über das Geschichten-Erzählen als Lebenskunst, Verbindung und Trost – angefangen bei Sprachnachrichten für ihre Enkelin bis hin zu Interviews mit Menschen, deren Arbeit ganz im Zeichen des Erzählens steht.
📚 Zu Gast im Podcast:
- 🎤 Gregor von Papp, Schulleiter und leidenschaftlicher Geschichtenerzähler aus Würzburg. Er erzählt, wie er zufällig zum Erzählen kam – und wie sich durch freies Erzählen im Klassenzimmer die Atmosphäre verändert. Es geht um Zuhören, Emotion, Verbindung und darum, wie Geschichten auch jenseits von Lehrplänen wirken können.
- 🌍 Elles Blanken, Sozialwissenschaftlerin in El Salvador, berichtet von ihrer Arbeit in abgelegenen Regionen, wo sie mit einem lokalen Team Lebensgeschichten von Zeitzeugen des Bürgerkriegs dokumentiert. Es geht um Erinnerung, Heilung, Perspektivenvielfalt und darum, Stimmen zu bewahren, die sonst ungehört bleiben.
🎧 Themen der Folge im Überblick:
- Frühling in Rotterdam und die Geschichte der grünen Papageien
- Geschichten als Trost in der Corona-Zeit
- Warum mündliches Erzählen eine besondere Qualität hat
- Wie Kinder und Jugendliche durch das Erzählen aktiviert werden können
- Der Unterschied zwischen Berichten und wirklichem Erzählen
- Storytelling als Werkzeug zur Aufarbeitung von Geschichte in El Salvador
- Geschichten als Mittel zur Heilung, Verbindung und Empathie
- Stimmen der Mapuche im Weraldmuseum Leiden: Widerstand, Flucht und Gemeinschaft
🎵 Abschluss der Episode: Ein eindrucksvolles Klangstück aus dem Weltmuseum Leiden – der Gesang eines Mapuche-Rituals erinnert an jahrhundertelangen Widerstand und die Stärke von geflüchteten Gemeinschaften, die sich neu zusammenfinden.
📌 Weitere Infos, Links & Material zur Folge findest du auf [Website oder Plattform einfügen].
🕊️ „Traces of Light“ – Ein Podcast über Hoffnung, Gemeinschaft und Menschlichkeit.
Transkript
Die Sonne scheint, Blütenblätter wirbeln im Wind und die Vögel
zwitschern. Es ist Frühling geworden, auch hier in den Niederlanden,
wo ich wie drei oder vier Mal im Jahr meine
Enkelkindern und ihre Eltern besuche.
Heute Morgen beim Aufwachen hörte ich etwas genauer hin.
Neben dem dumpfen Geräusch der Grossstadt Rotterdam hört man Vogelstimmen.
Sind es Amsel, Meisen oder diese Vögel hier, die lauter
sind als alle anderen?
Es sind Papageien, knallgrüne kleine Papageien.
Die, so sagt man mir, vor vielen Jahren von Menschen
illegal in Käfigen eingeführt wurden.
Sie sind entwichen und haben gelernt, hier in Rotterdam oder
anderen Städten, auch in Deutschland, das Moos von den Dächern
mit ihren starken Schnäbeln zu essen und die Ziegel aufzuhacken.
Dort überleben sie den Winter in der für sie ungewohnten
Kälte. In der letzten Episode vor zwei Wochen ging es
um das Erzählen von Geschichten über Migration, also über das
Weggehen und das Ankommen.
Und da frage ich mich, welche Geschichten würden denn diese
Vögel oder ihre Vorfahren erzählen?
Von Eingesperrtsein, von der Befreiung, von der unbekannten Kälte?
Hören Sie selbst!
Ich liebe Geschichten.
Sie haben mir während der Corona -Zeit geholfen, die Trennung
von der Familie besser zu überstehen.
Fast ein Jahr konnte ich nicht zu meiner Familie in
die Niederlande reisen.
So habe ich abends, damals meiner dreijährigen Enkelin, kleine Tiergeschichten
aufgenommen. Erzählt habe ich über Ameisen, über Schmetterlinge mit eigenen
Namen. Ich schickte sie per Telefon.
Ein kleiner Trost, weil ich sie nicht selbst vorlesen konnte.
Gestern Abend hat mich mein Enkelin gebeten, doch wieder mal
so eine Geschichte zu erzählen, jetzt wo ich da bin.
Willkommen bei Traces of Light.
Elsbeth Horbaty nimmt dich mit auf die Suche nach Menschen
und Gemeinschaften, die in diesen schwierigen Zeiten Mut machen.
Weshalb sind denn Geschichten so besonders?
Doris Dörrie, Regisseurin und Autorin, sagt, dass das Erzählen von
Geschichten eine Art ist, die Welt zu begreifen und mit
ihr in Beziehung zu treten.
Sie fordert uns auf, in diesen Zeiten von grossen Veränderungen
Geschichten zu hören, zu erzählen oder selbst zu schreiben.
Für viele Menschen in meinem Alter scheint es auch wichtig,
die eigene Biografie aufzuschreiben, um über das Leben zu reflektieren.
Dieser Podcast ist für mich eine Form, wie ich das
versuche. Letzte Woche hatte ich versprochen, mir zum Thema Geschichten
zu erzählen und sagte, dass ich digital nach Würzburg und
nach El Salvador reisen werde.
So habe ich mich heute per Zoom mit Gregor von
Papp aus Würzburg online getroffen.
Er ist Schulleiter und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit
dem Thema Geschichten erzählen.
Ich bin hier mit Gregor von Papp und er hat
gesagt, das, was ihn am meisten interessiert im Leben, sind
Geschichten zu erzählen oder zu hören.
Wann ist denn dieser Funke entstanden, Gregor?
Der Funke ist entstanden, als ich aus Versehen in einen
Kurs für Geschichtenerzähler gestolpert bin.
Ich war damals eigentlich für einen anderen Kurs angemeldet.
Hab dann aber in letzter Sekunde, bin abgebogen und hab
einfach eine andere Tür genommen und hab mich in den
Kurs für Erzähler gesetzt und war sehr skeptisch.
Weil ich dachte, das ist so was für kleine Kinder
oder für alte Leute oder es könnte auch sehr langweilig
werden.
Und als der Erzähler, der den Kurs geleitet hat, Martin
Elroth, als der dann aber angefangen hat, eine Geschichte zu
erzählen, da konnte ich in der ersten Sekunde alles sehen,
was er erzählt hat und ich könnte auch alles hören
und schmecken und riechen, was er erzählt hat.
Und das war so faszinierend für mich, dass ich dachte,
das möchte ich auch unbedingt lernen.
Und dann habe ich mich auf den Weg gemacht, das
zu lernen.
Okay, und du bist ja eigentlich Lehrer, soviel ich verstanden
habe, ne?
Genau, aktuell bin ich Schulleiter.
Schulleiter? Mittelschule hier in Würzburg und genau.
Und wendest du diese Geschichten dann irgendwo in deinem Alltag
an oder machst du das zusätzlich?
Sowohl als auch, also ich habe lange Zeit, bevor ich
Schulleiter wurde, habe ich viel auf kleinen Bühnen erzählt, so
Kleinkunstbühnen und habe da Storytelling betrieben.
Dafür bleibt im Moment leider wenig Zeit, aber ich habe
das parallel auch immer im Unterricht eingesetzt, indem ich entweder
selbst Geschichten erzählt habe oder eben Schülerinnen und Schüler animiert
habe, Geschichten zu erzählen.
Ich habe lang in Klassen gearbeitet, wo Kinder und Jugendliche
drin waren, die Deutsch lernen müssen, sollen und da war
das auch eine ganz wunderbare Tole einfach.
Und was genau ist es?
Wo bringt das Feuer am meisten?
Naja, die Begeisterung ist eigentlich in dem Kurs entstanden, aber
dann vor allem nachher, als ich im Unterricht stand und
irgendwann mal tatsächlich eine Geschichte erzählt habe, also die Geschichte,
die ich in dem Kurs gelernt habe, habe ich dann
im Unterricht erzählt.
Und mit einem Schlag war die Qualität des Zuhörers eine
so andere.
Wir sind ja auf eine bestimmte Qualität des Zuhörers gewohnt
als Lehrer. Und plötzlich war es mucksmäuschenstill, aber es war
nicht nur still, sondern es war eine Aufmerksamkeit da, die
vorher einfach nicht da war.
Und da habe ich gespürt, da passiert eine Form der
Kommunikation, die einfach ganz besonders ist.
Und das ist das, was mich bis heute so fasziniert
am mündlichen Erzählen, am freien Erzählen.
dass die Qualität des Zuhörens und die Qualität der Verbindung
zwischen Erzählenden und Zuhörenden einfach eine ganz, ganz fantastische Qualität
hat. Also das ist für mich tatsächlich der entscheidende Qualitätsunterschied
von Erzählen oder Berichten, also der Unterschied.
Wenn wir erzählen, wenn wir ins Erzählen kommen wirklich, also
wenn es nur das Erzählen von gestern nach Mittag ist,
dann sind mit der Information, die ich da weitergebe, sind
ja immer auch Emotionen verbunden.
Und man schnürt ja beim Erzählen so ein ganzes Paket
an Informationen, Emotionen, bis zu meinen Körperzuständen und allem.
Und das kann ich ja direkt weitergeben.
Und das gebe ich eben direkt weiter nicht nur über
die Wörter oder vor allem nicht über die Wörter, wie
ich sage, sondern über die Gestik, über die Mimik, über
die Stimme, die Stimmlage, die Pausen, die ich mache, die
das Zögern, das ich in einem Moment habe.
Und
Wir sind als Menschen so gebaut, dass wir das sehr
schnell lesen und kapieren können.
Wir können diese Gesamtinformation mit einem Hubs aufnehmen.
Und da vermischen sich dann eben die Informationen, also gestern
bin ich über den Platz spaziert, mit dem, was ich
dabei erlebt habe.
Und deswegen finde ich es so toll, die Menschen ins
Erzählen zu bringen und vom Berichten wegzubekommen, weil wir in
der Schule ja ganz viel gelernt bekommen, beigebracht bekommen, was
richtig und was falsch ist, wie eine Geschichte aufgebaut sein
muss, welche Wörter ich verwende und das ist aber alles
schon vom Schriftlichen.
erzählen motiviert, weil es ja in der Schule darum geht,
Lesen und Schreiben zu lernen und die richtigen Wörter dann
zu verwenden und so weiter.
Im mündlichen Erzählen brauchen wir das aber alles gar nicht,
weil wir das ja alle können von klein auf und
seit sehr, sehr viel längerer Zeit, als wir als Menschen
auch Lesen und Schreiben können.
Und wie können wir das in der Familie ein bisschen
animieren oder das jeder ein bisschen erzählt?
Wie machst du das in einer Familie oder wie können
wir das machen?
Also das mache ich nicht mit irgendwelchen Techniken oder mit
irgendwas, was ich gelernt habe, sondern da muss ein vertrauensvoller
Rahmen da sein, da muss eine Gemütlichkeit da sein, ein
Tisch, vielleicht gutes Essen trinken und dann kommen Menschen ganz
automatisch ins Erzählen.
Was denkst du, ist denn was eine interessante Geschichte ausmacht?
Also wenn ich erzähle, ich bin gestern über den Platz
gelaufen, ist es ja nicht so spannend.
Das ist ja noch keine Geschichte.
Das ist noch keine Geschichte, genau.
Was macht denn eine Geschichte aus?
Geschichte macht aus, dass es irgendein Problem gibt, dass es
irgendeinen Konflikt gibt, dass irgendwas problematisch ist.
Und dann zu gucken, wie löst sich dieses Problem auf,
wie löst sich diese Spannung auf, welche Tricks verwendet die
Heldin oder der Held oder welche Methoden hatte, um da
dieses Problem, diesen Konflikt aufzulösen.
Und ja, das finde ich sehr spannend, als Übertragung auch
in, also wenn ich im pädagogischen Bereich arbeite oder auch
wenn ich in der Wettbewerbszusammenarbeit war, dann finden wir, Probleme
finden wir immer ganz schlimm und Konflikte finden wir auch
immer ganz schlimm.
Aber in Wahrheit sind Konflikte und Probleme ja auch das,
wo eine Bewegung entsteht, wo was entsteht, wo dann was
vorwärts geht und wo sich dann wieder Entwicklungen ergeben.
Ich glaube, dass fast alle Kunstformen ja eigentlich irgendeine Form
des Geschichten erzählen sind, sei es Literatur, sei es Film,
sei es diese kürzeste Form der Filme auf TikTok.
Das mündliche Geschichten erzählen von Gesicht zu Gesicht, von Mensch
zu Mensch, ist einfach die älteste Form, die wir haben
und die direkteste Form, die wir haben.
Im Prinzip kann ich das ja schon, bevor ich Worte
habe, wenn ich nur ein Laut äußere und ein Gesicht
verziehe, dann kann mein Gegenüber schon lesen, was da eigentlich
gerade passiert. Das ist eine sehr direkte Form, die sehr
nahe geht, sehr schnell sehr nahe geht.
Genau und das TikTok, das geht ja den Leuten ganz
schnell nahe, also das ist noch viel, es ist eigentlich
in einer Minute, da kannst du dir in 10 Minuten
10 Filme angucken.
Also wenn ich Jugendlichen dabei zugucke, dann sind das eher
in einer Minute 10 Filme, die da durchwischen, also die
wischen dann an der Geschwindigkeit durch, da wird mir schwindelig.
Und weshalb ist das jetzt, also das sind jetzt wieder
meine Vorurteile, aber weshalb ist das vielleicht nicht so gut
für uns? Dieses schnelle und Geschichten erzählen.
Also ich glaube, wir müssen immer aufpassen.
Das ist natürlich eine Form, die mir fremd ist.
Das war aber immer die Eigenschaft der Jugend, dass sie
Formen gesucht hat, die natürlich den Erwachsenen, Älteren fremd sind.
Also das ist, glaube ich, ein Teil der Geschichte, dass
wir ein paar Sachen nicht mehr verstehen.
Ich könnte mir vorstellen, dass man auch auf TikTok toll
Geschichten erzählen kann.
Was mich sehr befremdet ist, diese wahnsinnige Geschwindigkeit.
Dass man in einer Minute zehn verschiedene Geschichten aufnimmt und
zehn verschiedene Emotionsformen und nicht mehr...
sich nicht mehr auf eine einlässt.
Und jetzt vielleicht so mein Wunschgedanke, dass eben die Leute
vielleicht sich wieder lieber Geschichten erzählen, auch mit Jugendlichen, mit
Kindern, was vielleicht ein bisschen von dieser Geschwindigkeit reduziert für
jeden und wieder gut zuhören kann.
Wie können wir das denn fördern?
Was meinst du?
Das Spannende ist, dass ich erlebe, dass wir überhaupt nichts
fördern müssen. Also wenn ich mich hinstelle und eine Geschichte
erzähle, dann können das Jugendliche sein, die gerade in Kontakt
über TikTok gewischt haben.
Wenn die Geschichte gut erzählt ist und wenn eine Verbindung
da ist zwischen den Erzählenden und den Zuhörenden, dann ist
sofort eine sehr hohe Aufmerksamkeit da und auch meistens eine
Begeisterung da. Das ist nicht weg.
Wir sagen oft, die Kinder können sich nicht konzentrieren, das
stimmt. Das hängt aber auch ein bisschen von der Form
der Darbietung ab, sage ich mal.
In dem Moment, wo wirklich erzählt wird und da spüre
ich schon, dass sehr schnell sehr hohe Aufmerksamkeit auch noch
da ist.
Okay, aber es ist ja nicht jedem gelegen, was Spannendes
zu erzählen. Du hast gesagt, dass eine gute Geschichte muss
irgendwie eine Problematik beinhalten.
Was denn noch, damit man eben so ein bisschen die
Leute abholen kann?
Das Entscheidende ist, dass die Geschichte mich auch anspricht, also
dass sie zu mir passt.
Also das Aussuchen von Geschichten ist eigentlich für eine Erzählerin
oder ein Erzähler eine der Hauptaufgaben.
Also am Anfang habe ich zehn Geschichten gelesen und dann
habe ich drei davon gut gefunden.
Inzwischen lese ich manchmal 30, 40 und finde eine gut
vielleicht.
Auch im Sekundentakt dringend.
Nicht nur im Sekundentakt, nein.
Also es muss etwas von mir mit drinstecken im Erzählen.
Wenn ich es von mir abspalte und eben versuche dann
zu berichten oder vorzutragen, und das hat aber mit mir
nichts zu tun, dann kann das Thema so wichtig sein,
wie es will.
Dann wird es sehr schwer haben anzukommen.
Wenn das Thema eine Verbindung zu mir hat oder wenn
ich die Verbindung dazu gefunden habe.
Ich kann auch Themen nehmen, wo ich erstmal keine Verbindung
spüre. Dann brauche ich eben mehr Arbeit und muss mich
da mehr reingeben.
Dann finde ich irgendwo eine Verbindung dazu.
Oder wenn ich gar keine Verbindung dazu finde, dann erzähle
ich die Geschichte nicht.
Dann ist es nicht meine Geschichte.
Ok, also danke vielmal, Gregor von Papp, für das Gespräch.
Sehr gerne.
Durch meine Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit habe ich gelernt.
Geschichten und Biografien machen es leichter, andere Kulturen und geschichtliche
Zusammenhänge zu verstehen.
Ich habe die Sozialwissenschaftlerin aus den Niederlanden, Elles Blanken, online
interviewt. Sie arbeitet in El Salvador, in einer abgelegenen Gegend,
um Geschichten zu hören.
Ihr und einem Team von lokalen Mitarbeitenden erzählen die Leute,
wie es war, als vor 30 Jahren Bürgerkrieg in El
Salvador herrschte.
So können neue Wege entwickelt werden, damit auch die jüngeren
Generationen die gewalttätige Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft
kennen und verstehen.
Eigentlich sind das für mich zwei Fragen.
Warum sind Geschichten wichtig und warum finde ich es wichtig,
sie aufzuschreiben? Fangen wir mal mit den Geschichten an, oder
Storytelling. Ich denke, Storytelling ist in unserer Natur.
Wir hören uns Geschichte an, wir lesen sie, wir erzählen
Geschichten. Sie sind eigentlich überall.
Geschichten helfen uns zu lernen, einander zu verstehen, Brücken zu
bauen und noch viel mehr.
Und ich war eigentlich immer schon begeistert von Geschichten und
ich wollte dann immer mehr wissen.
Eine Geschichte ist immer mehr für mich ein Anfang, um
mehr herauszufinden oder mehr zu wissen, mehr zu lernen, Fragen
zu stellen. In den letzten Jahren geht es in meiner
Arbeit immer mehr um persönliche Geschichten.
Zuerst in Kambodja und jetzt seit fast anderthalb Jahren bin
ich in El Salvador.
Und hier arbeite ich in einem Projekt, in dem wir
die Vergangenheit aufarbeiten.
Also ich habe hier die Gelegenheit, viele persönliche Geschichten zu
hören und wir schreiben sie auch auf, damit sie aufbewahrt
werden für die zukünftigen Generationen.
Und das sind die normalen Geschichten, das heißt die alltäglichen
Geschichten von ganz normalen Leuten im Dorf.
Und das macht sie auch so interessant.
Hier in El Salvador haben die Menschen schwierige Zeiten erlebt.
Nicht nur während dem Bürgerkrieg, aber auch davor und danach.
Und ich finde es wichtig, dass wir viele verschiedene Perspektiven
auf diese Zeit aufbewahren.
Wir arbeiten hier in ein landliches Gebiet und ich möchte
von diesen Menschen gerne hören, wie das Leben damals war,
als sie jung waren.
Was hat man gemacht?
Was musste man vielleicht auch machen, um zu überleben?
Was war schön oder gut?
Wie war es, Kind zu sein damals oder Eltern?
Wie war es in der Familie oder Nachbarschaft?
Manchmal schwierige Erinnerungen, aber auch die schöne Dinge, also alles,
was für ihnen wichtig ist zu erzählen.
Das können schwierige Erinnerungen sein, aber auch die schöne Dinge.
Eigentlich alles, was für diese Leute wichtig ist, alles, was
sie gerne erzählen möchten, damit die Geschichte von dieser Gegend
ein buntes Mosaik wird.
Und für mich ist es auch wichtig, dass wir damit
die Stimmen hören, die vielleicht in den Geschichtsbüchern, im Geschichtsunterricht
nicht so anwesend sind.
Und ich habe bemerkt, dass die Menschen hier voller Geschichten
sind. Es gibt überall Geschichten und sie erzählen sie auch
gerne. Manchmal erstaunt es mich, was die Menschen uns alles
erzählen, sogar beim ersten Mal, dass wir sie begegnen.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, gehört zu werden.
Die Menschen, die wir hier besuchen, sagen es auch.
Sie sagen uns, wie froh sie sind oder dankbar sie
sind, dass wir dieses Projekt hier machen.
Sie sagen uns, noch nie hat jemand uns nach diesen
Geschichten gefragt. Jedes Mal, wenn wir sie wieder besuchen, kommen
mehr Geschichten, neue persönliche Erfahrungen.
Und ich glaube, es hilft auch, diese Geschichten zu erzählen.
Irgendwie hat es eine heilsame Wirkung oder kann es eine
heilsame Wirkung haben.
Ich weiß natürlich nicht, ob es für jeder Mensch so
ist, aber mir hilft es, eine Geschichte zu erzählen.
Ich muss dann meine Gedanken ordnen und mir hilft es
dann weiter darüber nachzudenken.
Oder manchmal vielleicht auch, um es einfach loszulassen.
Und das hören wir auch von Teilnehmern in unser Projekt.
Manchmal kommen schon Geschichten, wo die Tränen dann fließen, aber
nachher sagen sie dann sehr oft, ich fühle mich eigentlich
besser jetzt. Meistens treffen wir die Leute hier in kleine
Gruppen, also die Geschichten werden dann auch geteilt.
Und eine persönliche Geschichte leitet dann wieder nach anderen Erfahrungen
und so weiter.
Und es gibt dann wirklich einen schönen Austausch und Empathie
auch. Es hilft einander zu verstehen.
Es gibt hier so viele verschiedene Erfahrungen und die sind
es alle wert aufgezeichnet zu werden.
Und wie ich schon sagte, damit wir dann eine bunte
Mosaik von dieser Geschichte, von dieser Gegend hier haben.
Beenden möchte ich die heutige Episode mit dem Gesang aus
dem Wereldmuseum.
aus dem niederländischen Leiden.
Das glockende Läute und die sanfte Stimme begleitet eine kleine
Ausstellung über die indigene Bevölkerung aus Chile, die Mapuche, diesem
Volk, das den spanischen Conquistadores über einen außergewöhnlich langen Zeitraumwiderstand
leistete. Insgesamt werden sie sich über 300 Jahre lang gegen
die koloniale und staatliche Eroberungsversuche.
Im Museum hängen kleine Kurzbiografien von Menschen, die dann viele
Jahre später von der Diktatur in Chile in den 70er
-Jahren nach Europa fliehen mussten.
Ihre Geschichte und der Gesang erzählen von der Stärke, mit
denen es ihnen gelungen ist.
Trotz allem, über ganz Europa verteilt, wieder eine Gemeinschaft aufzubauen.
Das war Tracers of Light.
Ein Podcast von Elsbeth Horbaty die auf der Suche nach
Menschen und Gemeinschaften ist, welche in diesen schwierigen Zeiten Mut
machen.